Mais

Mais, Mais, Mais

Horrido Lutz,

lesenswerter Beitrag in Welt online.

Gruß Burghard, Samstag, 12. Juni 2010 02:00

Die deutsche Landschaft verändert sich rasant. Weil immer mehr Energiepflanzen angebaut werden, gibt es kaum noch Brachland - mit dramatischen Folgen für die Tiere. Nur dem Wildschwein kommt der Wandel zugute

Eine sommerliche Fahrt nach Röddelin führt durch endloses Grün. Wie eine Insel liegt das brandenburgische Dorf in einem Meer aus Mais. Auf über 1.000 Hektar baut der Agrarbetrieb Röddelin GmbH Energiepflanzen an, um sie in riesigen grün überdachten Reaktoren zu vergären. Die steigende Nachfrage für Biogas verwandelt ganze Regionen im Umkreis von Biogasanlagen in Maisland. Das hat Folgen. Eine davon ist, daß die Landschaft nicht mehr zu sehen ist. Links und rechts der Landstraßen steht der Energiemais im August drei Meter hoch. Eine pflanzliche Mauer, die keinen Weitblick mehr erlaubt.

„Der gerade stattfindende Umbruch im Ackerbau bewirkt den größten Landschaftswandel seit vielen Jahrzehnten“, sagt der Biologe Torsten Reinwald, Sprecher des deutschen Jagdschutzverbandes. Der Boom der Biogasanlagen hat dazu geführt, daß in Deutschland auf 2,1 Millionen Hektar Mais angebaut wird, mehr als 30-mal so viel als vor 50 Jahren. Hinzu kommen andere Energiepflanzen wie Sudangras und 1,4 Millionen Hektar Raps, der teilweise zu Biodiesel verarbeitet wird. Mit Subventionen wird der Anbau der Ölpflanze gefördert. Mittlerweile prägen im Frühjahr leuchtend gelbe Rapsfelder die Landschaft. Für die Jüngeren sind sie bereits so typisch deutsch wie Fichtenwälder und Dorfkirchen.

Doch nicht nur das Landschaftsbild verändert sich. Die Ausbreitung der Energiepflanzen hat gewaltige ökologische Folgen. Für manche Wildtiere wirkt der Wandel wie ein Fütterungsprogramm. So ist die Vermehrung der Kraniche zum Teil darauf zurückzuführen, daß ihnen junger Mais als leicht zugängliches Kraftfutter dient. Sie ziehen die Pflänzchen aus dem Boden und knipsen das nahrhafte Korn ab, das unten dranhängt.

Noch viel günstiger wirkt sich der Energiepflanzenboom für Wildschweine aus. Ihre Population hat sich seit den 50er-Jahren verzehnfacht. Selbst in Südbayern und am Alpenrand, wo sie früher nicht vorkamen, gibt es heute Wildschweine. „Wildschweinbestände können sich innerhalb eines Jahres um 300 Prozent vermehren“, sagt Torsten Reinwald. Mais, Raps und Weizen wachsen zeitversetzt, sodaß die Tiere nur von einem Feld zum anderen wechseln müssen, um in der ganzen Vegetationssaison ideale Nahrungsbedingungen zu finden. Obendrein gibt es immer genügend Deckung, damit die Jäger sie nicht sehen können. Die Nahrungssituation ist so gut, daß die Bachen inzwischen auch im Winter Frischlinge bekommen. Auch „Teenager-Schwangerschaften“, so Reinwald, sind üblich geworden. Bachen, die selbst noch kein Jahr alt sind, werfen bereits. Im Jagdjahr 2008/2009 wurden in Deutschland 640 000 Tiere erlegt.

Doch es gibt nicht nur Gewinner des Landschaftswandels, sondern viel mehr Verlierer. „Wir müssen uns fragen“, sagt Reinwald, „ob wir das Klima auf Kosten der Artenvielfalt retten wollen.“ Denn die grüne Alternative zu Kohle und Öl vernichtet die Lebensräume vieler Vögel, Insekten und Pflanzen. „Im Jahr der Biodiversität“, sagt Manfred Klein, Experte für Agrarlandschaften beim Bundesamt für Naturschutz, „geht die Artenvielfalt in Deutschland drastisch zurück. Besonders die Feldvögel werden immer seltener.“ Im Jahr 2001 hatten die Staaten der EU beschlossen, dafür zu sorgen, daß der Artenrückgang in Europa bis zum Jahr 2010 gestoppt sei. Davon kann keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die als Klimaschutz gepriesenen Energiepflanzenkulturen machen das Land für viele Lebewesen unbewohnbar. „Bei den Feldvögeln können wir den schnellsten Abwärtstrend messen“, sagt die Biologin Petra Bernardy, die als Gutachterin Bestandszählungen durchführt. „Für Feldlerche, Schafstelze und Grauammer sieht es schlecht aus.“

Daß die Artenverluste gerade jetzt so dramatisch werden, liegt nicht am Biospritboom allein. Die Landschaft wird quasi in die Zange genommen, denn parallel zur Förderung der grünen Energie wurde eine Subvention abgeschafft, die der wilden Natur wahrscheinlich mehr geholfen hat als viele gut gemeinten Schutzmaßnahmen: die Prämie für Flächenstilllegung. Als sie 1988 eingeführt wurde, dachte niemand an Naturschutz. Die EU-Agrarbürokraten wollten mit der Maßnahme den Getreideüberschuß drosseln, der die Marktpreise verdarb. Europäische Landwirte bekamen Geld, wenn sie auf einem Teil ihrer Felder nichts anbauten. Das war zwar ökonomischer Unfug und wurde als solcher viel kritisiert. Doch die Flächenstilllegungsprämie führte zu einem ungeplanten Nebeneffekt für Ackerblumen, Schmetterlinge und Singvögel. Circa eine Million Hektar wurden in Deutschland aus der Nutzung genommen. Zwar durften die Landwirte auf diesen Flächen Pflanzen anbauen, die nicht zu Nahrungsmitteln verarbeitet wurden. Doch für viele lohnte sich das nicht, sie ließen die Felder einfach brachliegen. Dort entstanden Refugien für Wildpflanzen und die Tiere, die ihnen folgen. „Anhand von Bestandsuntersuchungen zur Vogelwelt in ganz Deutschland zeigt sich“, so der Naturschutzbund Deutschland „daß die Bestände von Feldvogelarten unmittelbar vom Flächenanteil der Stillegung abhängen.“

Im Wirtschaftsjahr 2004/2005 wurde die Stillegungsfläche von vorher zehn auf fünf Prozent des Ackerbodens reduziert. 2008 schaffte Brüssel diese Prämie ganz ab. Die Folgen waren dramatisch. Im Frühjahr 2008 pflügten die deutschen Bauern 300 000 Hektar zuvor stillgelegter Fläche um und bauten darauf Energiepflanzen oder Getreide an.

Und noch ein dritter Effekt reduziert den Platz für Tiere. Im Jahr 2008 nahm nicht nur die Nachfrage nach Biosprit zu, auch stiegen weltweit die Nahrungsmittelpreise. Viele deutsche Bauern entschlossen sich, ihre Wiesen in Äcker umzuwandeln. Nach einer Untersuchung des Bundesforschungsinstituts für ländliche Räume ging die Grünlandfläche seit 2005 um mindestens 80 000 Hektar zurück, wahrscheinlich um mehr. Die häufigste Kultur auf den neu eingerichteten Feldern ist Mais. Wenn Grünland zu Ackerland umgebrochen wird, sinkt die Artenvielfalt.

Mehr Energiepflanzen, weniger Grünland und keine Flächenstillegung mehr: Eine so einschneidende ökologische Veränderung auf breiter Fläche haben die Landschaften Deutschlands und Europas seit vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Zwar gab es auch früher drastische Veränderungen in der Bodennutzung. So führte die mittelalterliche Rodung der Wälder dazu, daß typische Waldtiere wie Luchs oder Schwarzspecht seltener wurden, Feldtiere wie Hase und Rebhuhn zunahmen. Doch die derzeit neu entstehende Agrarlandschaft kennt außer dem Wildschwein kaum Gewinner. Da die Veränderung anders als bei einer Ölpest oder einer Chemiekatastrophe nicht auf einmal passiert, sondern sich über Jahre hinzieht, wird sie von den meisten Menschen nicht wahrgenommen. Ihre Auswirkungen sind jedoch viel heftiger als solche punktuellen Umweltkatastrophen, denn der Wandel findet überall statt, nicht nur an einem Ort. Es gibt immer weniger Ausweichmöglichkeiten für die wilde Natur.

Die Entwicklung ist so dramatisch, daß sogar Jäger und Naturschützer zusammenrücken. Die traditionell verfeindeten Lager sehen beide aus ihrer Perspektive, was in der Landschaft passiert. Bei der gemeinsamen Suche nach Abhilfe kommt ein dritter unerwarteter Verbündeter ins Spiel: das Wildschwein. Die explosionsartig gestiegenen Bestände machen nämlich den Bauern zu schaffen. Selbst für Großbetriebe, die auf vielen Hundert Hektar Energiepflanzen anbauen, schlagen die Wildschäden inzwischen empfindlich zu Buche. Aus den Maisanbaugebieten erschallt der Hilferuf an die Jäger, sie mögen mehr Schweine schießen. Doch im Mais kann kein Jäger seinen Auftrag erfüllen, denn er sieht dort nichts, selbst wenn Legionen von Schwarzkitteln Feste feiern.

Abhilfe könnten etwa 15 Meter breite Schneisen bringen, die die Monokulturen auf voller Länge unterbrechen. Wenn das Schwarzwild über solche Freiflächen wechselt, haben die Jäger freie Schußbahn. Aber auch Lerche und Ammer könnten auf diesen Brachen eine neue Heimat finden. Die Todesstreifen für Wildschweine würden zu Lebensstreifen für selten gewordene Feldvögel.

Die Biologin Petra Bernardy bewertet die ersten Erfahrungen mit solchen Schneisen sehr positiv. Selbst wenn die Bauern sie nicht den Wildpflanzen überlassen, sondern eine Sommergetreidemischung eindrillen, können die Vögel dort eine volle Brutsaison lang leben. Denn das Getreide ist erst reif, wenn die Jungvögel schon ausgeflogen sind. Auch Torsten Reinwald findet die Ökoschneisen prima, und schwärmt von den stattlichen Schwarzwildstrecken, die man dort erlegen kann. Die Röddelin GmbH hat sich überzeugen lassen und Wildschneisen in ihren Maisfeldern eingerichtet. Die „grüne Mauer“ hat jetzt Durchgänge.

Michael Miersch / Welt online