Der schnarchende Bock

Der schnarchende Bock

August.

Der Sommer war bisher eher kühl und feucht. Die tiefen Grundwasserstände der letzten Jahre hier zwischen Elbe und Oder haben sich, sofern die Wasserabsenkunken nicht menschlicher Natur waren, leicht erholt. Vermeintlich gut gemeint werden seit einigen Jahrzehnten die Winter- und Frühjahrshochwässer der Havel durch Kanäle, Schleusen künstlich schnell in die Elbe abgeleitet. Der Fluß hat ausgedient. Es leben die Vorfluter! Schade drum. Wenn wir die alljährlichen „Katastrophen“ mindern, müssen wir uns um den Schwund der genau daran angepaßten Arten nicht wundern. Dieser Artenschwund in den Feuchtgebieten hat mit Landwirtschaft und Jagd gar nichts zu tun. Störche gibt es hier im Havelländischen Luch immer noch so viel die Nester tragen können. Der Bruterfolg in diesem Jahr ist außerordentlich gut; zwei bis Junge sind üblich, häufig auch drei. Sollte die starke Vermehrung eine Folge der Höhen Winterausfälle beim Storch durch starken Frost in den Winterquartieren im nahen Osten sein?

Während meiner Abwesenheit hat Jagdherr Joachim hat mit dem dicken Willy zwischen Queckenbrache und Lupinen an einer Knickeiche eine neue, offene Kanzel gebaut, geheißen die „Eisenkanzel“.

Von der Kanzel nördlich liegen 350 m Lupinen bis zum Kiefernwald. Nordwestlich erstreckt sich der Knick auf 100 m bis zum Wald. Links des Knickes liegt die einige Hektar große Queckenbrache bis zum Wald. Südlich in 400 m läuft die Straße. Von der Straße bis zur Kanzel mit einem Knick, ein Knick; zum Teil Höhe Pappeln, die bei jedem Wind rascheln. Die bemerkenswerteste Blickrichtung ist Nord Nord West auf den Wald, an dessen Kante Fernwechsel austreten.

Der Wald ist groß, aber im wesentlichen Nachbarland. Wer hier schießt, sollte sein Stück sicher fällen! Sonst kann es sein, daß der Nachbar froh wird und ich als Schneider nach Hause gehen müßte. Nördlich in 300 m auch die scharfe Kanzel.

Erstes Mal auf den schnarchenden Bock

Nach langer jagdloser Sommerferienzeit komme ich mal wieder auf die scharfe Kanzel. Die saftigen Lupinen des Frühsommers sind braun, fast verdorrt. Der arme, kalkfreie, sandige Boden hält keine Feuchte. Der Wind weht von nördlichen Richtungen von der scharfe Kanzel fast quer zur wichtigen Waldkante. Die Stelle, an der meine Witterung den Wald erreicht ist wahrscheinlich hinter der Eichenschwartenkanzel so weit entfernt, daß ich erstens dort sowieso nicht hinlangen könnte und zweitens außerhalb der üblichen Austritte des Wildes. Na, mal sehen was kommt.

Ich will gegen halb neun oben sitzen. Ich nähere mich von Osten, laufe an der Waldkante längs. Meine Freunde sind schon da. Ich sehe Rehe. Bis auf 100 komme ich gaaaanz langsam. Heran. Das Reh steht kurz vor dem Wald zwischen auf den Lupinen nahe der Queckenlichtung. Ich ersteige sogar den Stand hoch in der Kanzel, ohne daß der Rotrock flüchtet. Als ich die Tür in meinem Rücken schließe ist es ihm doch zu viel und es geht ab.

Gegen neun kommt von rechts ein gutentwickelter Spießer auf 40 Gänge an mir vorbei und tritt in die Lupinen. Die scheine trotz des braunen Scheines noch Äsung herzugeben, um so besser. Der Finger bleibt gerade, da wir eigentlich erst später im Jahr wieder an die Rehe wollen. Wir habe ja schon gut Beute gemacht.

Gegen halb zehn wird es dämmeriger. Eine Reh tritt 300m südlich bei der Eichenschwartenkanzel aus dem Wald. Ein weiteres folgt. Also Ricke mit Bock. Die beiden ziehen äsend 50 m vor dem Wald zu mir. Aber was höre ich den da? Der Bock schnarcht! Wieso? Was soll das? Aha, Rachenbremsenlarven peinigen den Bock, die will er raushusten um sich von dem Juckreiz zu befreien, denke ich! Armes Tier. Ein Hegeabschuß wäre fällig. Ich schnappe mein Fürst Pleß Horn der Neuzeit, nämlich mein Händi, frage meinen Jagdherren, ob ich den schnarchenden Bock frei habe. Joachim spricht „Nimm ihn mit!“. Den Spruch scheinen die beiden auf weniger als 80 m mitgehört zu haben. Jedenfalls verziehen sich die Beiden in die Weiden. Macht nichts. Es war gegen zehn Uhr eh schon recht dunkel. Sicheres Ansprechen ist jetzt im August nur noch bis halb zehn möglich. Ich werde wieder kommen. Wir haben ja die neue Eisenkanzel. Die steht 150 Meter vor dem Austritt. So muß der Bock dort sicher fallen!

Zweites mal auf den schnarchenden Bock

Kurz vor Sonnenuntergang gehe ich zur Eisenkanzel. Ein Stück ist schon vor mir da, verzieht sich als ich mich nähere. Hinten, 300 m nördlich aus dem zweiten Austritt, treten meine beiden Freunde aus. Was soll ich machen. An Ansprechen ist auf diese Entfernung nicht zu denken. Also fix runter von der Kanzel und angepirscht. Pirschen am Abend ist so eine Sache. Pirsche ich schnell, werde ich laut, die Stücke springen also ab. Pirsch ich langsam, senkt sich der Abend, also kann ich nicht mehr ansprechen. Schwierig! Ich versuch`s der Widrigkeit trotz und gehe ran. Ich komme anfangs gut näher. Mein Lodenmantel verdeckt meine Gestalt. Die Beine sind in der Fahrspur abgedeckt, so daß die Rehe die Gehbewegung nicht erkennen können. Der Wald hinter mir ist dunkel wie ich. Chrr, chrr! Höre ich den Bock. Ja, er ist es! Ein Blick durch´s Glas sagt, ein Schönr Sechser. Nur schade, daß der Bock so krank ist, von den Schmarotzern gepeinigt wird..

Na, um zu schießen vielleicht doch noch zu weit. Stehend freihändig? Na, lieber noch ein bißchen näher. Chrr, chrr höre ich den Bock. Die trockenen Lupinen knistern bei den Rehen. Ich bin nah dran. Der Schuß muß sitzen. Ein Hase trommelt. Die beiden Rehe springen beide ab. Den Hasen habe ich in den Lupinen vorher nicht bemerkt. Er aber mich! Verdammt!

Oder habe ich den Rückstecher zu laut eingestochen? Wer weiß? Warum habe ich nicht so mit dem Flintenabzug geschoßen. Das geht doch auch. Ich schießen doch Flintenabzug geübt. Werde ich denn nicht mal schlauer. Durch lautes einstechen des deutschen Doppelzüngelstecher verschreckt ich doch letztes Jahr ein Kitz auf 50 m. Auch deshalb habe ich mir doch für 350 DM den neuen Rückstecher einbauen lassen (und auf der Drückjagd schnell einen zweiten Schuß antragen zu können).

Mein kranker Bock ist mit Volldampf hinter der scharfe Kanzel in den Wald abgegangen. Im Glas konnte ich nicht nachführen. Wo ist dessen zugehörige Ricke. Seine Ricke steht am Waldrand und sieht interessiert zu mir rüber. Von Flucht keine Spur mehr. Sucht sie einen besseren Bock als den sie hatte? So sind die (tierischen) Weiber! Ich komme mir wie ein Nebenbuhler des kranken Bockes vor. Jetzt im August sind die Ricken so. Böh, Böh schreckt der Bock aus den Kiefern. Böh, Böh schrecke ich zurück. Ob er kommt? Ich glaube eigentlich kaum, er würde auf mein Locken hereinfallen. Wenn man metallische Geräusche macht, ist man sogleich als Mensch enttarnt. Ansonsten kriege ich die Böcke machmal bis auf 5 m ran.

Später bei Joachim auf dem Hof unter der Kastanie kommen ein paar befreundete Angler und Sportschützen. Sie bringen eine frisch erlegte Ricke! Ohne Jagdschein! Im Sommer!

Wenn man die Ricke auf den Rücken legt, die Läufe spreizt, erscheint das Gesäuge deutlich vor unseren Augen; aber auch nur dann. Wehe dem Jäger, der jetzt im August noch ein „Schmalreh“ schießen will. Im Mai und Juni sieht man den Größenunterschied zu den Ricken deutlich. Von vorn oder hinten betrachtet erscheinen die trächtigen Ricken dicker. Außerdem sind die jungen Dinger noch verspielt und werden üblich von Ihren Zwillingsspießerbrüdern begleitet.

Doch zurück zur toten Ricke: Tatwaffe: Toyota! Tatort. Die Straße! Hier in Brandenburg ist jeder 10. Verkehrsunfall ein Wildunfall. Die Straße zehrt. Becken und Wirbelsäule sind gebrochen. Also ist die Ricke an Nervenzerstörung sofort im Stoß verendet. Trotzdem sind großflächige Blutgerinnsel zwischen den Bindehäuten zu finden; doch ganz ohne schnelle .243 Geschoß, daß gern als Blutgerinnsel verursachend hingestellt wird. Ob die Blutgerinnsel vielleicht doch nicht nur durch schnelle Kugeln erzeugt werden, sondern andere Ursachen haben, frage ich mich. Der Toyota war etwa 20 m/s schnell, also viel langsamer als 920 m/s, wie die V0 der 6,5 g Norma TM spitz .243 Kugel.

Die armen Kitze sind nun allein ohne Mutter. Vielleicht werden sie verhungern. Bald werden sich Fuchs oder Sau freuen, die herunterkommenden Säuglinge zu fressen. Sau und Fuchs wollen auch leben. Finden unsere haarigen Fleischfresser die Kitze nicht lebend, werden sich die Raben das Aas holen. Die klugen Raben fliegen weiträumig Streife und finden alles. So ist die Welt.

Drittes Mal den schnarchenden Bock

Scharfe Kanzel am Abend. Seit Tagen der gleiche nordwestliche Wind. Ein Hase. Ein Spießer. Raben rufen. Der Pirol ist heute nicht da. Der schnarchende Bock läßt auf sich warten. Es wird dunkel. Ich habe Zeit. Es knackt. Der gelbe Sommermond geht gegenüber auf und wird nach rechts hinüber ziehen. Es knackt. Es schmatzt ich sehe nichts. Wo sind sie? Jetzt sehe ich sie. Mitten vor mir auf den Lupinen sind Bock und Ricke (vermute ich) Chrr, chrr! Ja er ist es. 150m. Würde gehen. Wer ist Bock, wer ist Ricke. Sie spielen miteinander. Sie laufen hin und her. Er treibt sie. Na klar, es ist August. Chrr, ja, genau von rechts. Los bleibe stehen. Wetz, hakenschlag, renn. Wer ist wer? Nichts zu machen. Nach einer halben Stunde vertrollen sich die beiden in den Wald.

Ich döse. Ich nicke ein

Chrr, chrr! Genau das gleich wie vorher geschieht ... Nach einer halben Stunde vertrollen sich die beiden wiedermals.

Der Mond steht nun für die Nacht recht hoch. Sommermond ist ja nie so hell wie Wintermond. Ich döse. Ich nicke ein

Knack, raschel! Halb zwölf! Die schwarze Bande kommt von der Eichenschwartenkanzel im flotten Eilzug auf die Lupinen gewetzt. Ja meine drei Überläufer, deren Bruder ich vor zwei Monaten holte. Mann, sind die stark geworden, besonders der eine. 30-40 Kg kann der schon haben. Klasse! Aber das Tempo. Mein beiden Rehe trollen sich vor meiner Kanzel in die Weiden. Die Entfernung. Ich benötige Ruhe, um die Sauen überhaupt erst mal ins Glas zu bekommen. Vor und zurück und durcheinander wetzen die Brüder. Zeiß 3-12x56 mit Leuchtpunkt auf 7-fach gestellt muß langen. Besser geht's nicht. Die Sauen drehen einen Bogen zu mir. Komme näher. Ja, jetzt muß es sein. Ich kann nichts sehen. Verdammter Mond. Ich muß genau gegen den flachen Sommermond schießen. Der Mond blendet mich. Ich nehme eine Hand hoch. Nein, nicht zu machen. Die Sauen sind bei den Weiden im Wald verschwunden.

Ich döse. Ich nicke ein

Chrr, chrr! Genau das gleich wie vorher geschieht ... Nach einer halben Stunde vertrollen sich die beiden wie vormals in den Wald. Ich werde bald närrisch.

Ich döse. Ich nicke ein

Chrr, chrr! Genau das gleich wie vorher geschieht ... Nach einer halben Stunde vertrollen sich die beiden nochmals. Bald bin ich verrückt! Sowas gibt's doch nicht. Wollen die mich denn ärgern?

Usw, usw die ganze Nacht ...

Langsam bemerke ich eine gewisse Regel in dem Tun der Rehen. Je eine halbe Stunde zu äsen samt haschen wechselt mit einer Stunde Abwesenheit. Jetzt ist es drei Uhr. Der Mond untergegangen. Es wird finster und kühl. In anderthalb Stunden wird es halb fünf Uhr sein. Gut. Dann graut der Morgen. Wie damals mit den (noch) vier schwarzen Brüdern und dem Morgenbock. Deja vue. So soll es sein.

Ich warte. Halb fünf. Kein Bock kommt. Langsam tröpfelt die Zeit. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Es knackt 100 m vor mir bei den Weiden an der Waldkante. Da verschwanden meine beiden Pappenheimer zuletzt. Die Sauen auch. Ein Reh tritt in die kühle Morgendämmerung aus. Glas hoch. Ein Gehörn ist deutlich zu sehen. Endlich, mein schnarchender Bock mit den Rachenbremsen! Waffe hoch. Geladen habe ich das weiche 9,7 g Sierra Game King. Aufs Blatt angehalten. Krach. Die .30-06 donnert. Der Bock liegt ohne Flucht, schlegelt kurz und ist verendet. Doppelter Blattschuß, beide Oberarmknochen durchschossen. Als ich hingehe, sehe ich den Ärger. Ein heller Gabler, statt meines dunklen Sechsers. FehlAbschuß. Nach einer ganzen nervenzerrüttenden Nacht Katz- und Mausspiel siegten in mir im Tran Tatendrang und Beutegier, denn ich wollte ich die Sache nun endlich zu Ende bringen. Der Trieb war stärker als die Vernunft geworden. Nach einer solchen Nacht fühle ich mich, als ob ich einen Zentimeter über dem Boden ginge – wie unter Drogen. Erledigt ist die Sachen nun immer noch nicht. Ich muß weiter versuchen.

Heute nehme ich meine Frau mit. Joachims siebzehnjährige Tochter Silja wäre auch gern mitgekommen. Silja findet Jagd so spannend und ihr Pappi nimmt sie nicht oft genug mit, meint sie. Wie ich ihren Hund fände, fragt Silja. Na, Jagdhunde finde ich besser. Sie kann einen ausgebildeten Schutzhund aus dem Tierheim bekommen. Der soll in Kürze eingeschläfert werde. Bracki würde ja nicht mehr aufpassen, meint sie. Stimmt aber nicht. Sie sorgt sich um den Schäferhund. Verständlich.

Viertes Mal auf den schnarchenden Bock

Wir sind um halb neun auf der neuen Eisenkanzel. Der Wind kommt von der Waldkante und weht leicht auf´s offene Feld hinaus in die Pappeln. Besser geht's nicht, denke ich noch. Kaum sitzen wir zehn Minuten kommt 100 m fern aus der Waldkante über die Quecke ein Bock. Zur besseren Beobachtung haben wir das Leica 20x77 Spektiv auf Stativ aufgestellt. Ein Blick durch´s Spektiv und der Bock steht klar vor uns, als sei er fünf Meter nah. Es ist ein, ja, was ist den das? Die linke Stange gegabelt. Die rechte Stange ein schräger Spieß. Sonst sieht der Bock gut aus. Was ist das nun? Ein Verletzung, die nächstes Jahr vergessen ist, ein Verletzung am Rosenstock, die bleibt oder ein Erbfehler, den wir nicht wollen. Bei einem Erbfehler müßte ich sofort schießen, denn wir wollen den Bestand von solch krummen Dingen rein halte. Ich weiß nicht, was ich tun, soll, lasse den Finger gerade, werde später mit Joachim über den schrägen Bock reden. Der Bock ist vertraut. Wir sind still und könne abwechselnd etwa eine Stunde den Bock bis in die Dämmerung den Schrägen hervorragend äsen, sichern und ziehen sehen.

Die Sonne ist schon lange untergegangen. Nun geht hinter der Eiche der Mond auf. Klasse. Der Wind weht leis´ auf´s Feld. Wir im Mondschatten. Besser geht's nicht, denke ich wieder. Es raschelt! Ein Hase, wie immer. Eigentlich kommt immer ein Hase. Nach der letzten Warnung des Hasen (ein anderes Langohr) bin ich auf Meister Lampe nicht mehr so gut zu sprechen.

Es raschelt in den Lupinen. Wahrscheinlich Rehe! Chrr. Hört sich ganz wie von Walter Bachmann in der DJZ August 98 beschrieben an. So als zöge man Speichel die Nase hoch. Trotz hellen Mondlichtes kann ich Bock und Ricke nicht auseinanderhalten. Die wilde Jagd der beiden Rotröcke wechselt mit deren ruhigen äsen. An Schießen ist nicht zu denken.

Katrin zupft mich am Ärmel und deutet nach links. Ein kleiner Schatten. Aha, ein Fuchs. Ich komme mit dem Gewehr nicht so schnell an dem Spektiv zwischen uns vorbei. Ich ziele, kann aber den ziehenden Fuchs nicht ruhig anvisieren. Reineke entkommt unbeschossen in den nahen Wald. Hat er mein Stechen vernommen?

Genau, ich muß mir den Stecher ganz abgewöhnen, fürderhin nur noch Flintenabzug schießen. Der Flintenabzug sei dann ein Abzug für alle Gelegenheiten. Ich bräuchte nicht mehr nachzudenken, wie ich abziehen soll, sondern übe einmal für immer.

Ich stelle die Waffe mit dem Lauf in den Himmel auf meinem Knie ab und entsteche mit der linken Hand mit zwei Fingern fast geräuschlos. Dann betätige ich mit der rechten Hand die Sicherung, um zu sichern. Krach! Jetzt haben uns alle bemerkt. Wie konnte das geschehen. Der Schuß hat sich in den Nachthimmel gelöst. Ich bin sicher nicht mit einem Finger den Abzug berührt zu haben. Deja vue. Wie war das, als einer letztes Jahr nachts nach dem Sauansitz im stockfinsteren seine Autotür zerschoß? Der Abzug wird mir unangenehm! Ich muß die Waffe prüfen.

Die Rehe sind abgesprungen. Wir bleiben trotzdem noch. Es raschelt nah bei uns. Hase, nein zwei Hasen. Ganz dicht bei einander, noch kurze Löffel, Junghasen. Sehr nett anzusehen wenn die Beiden nebeneinander Männchen machen um zu sichern.

23 Uhr. Chrr, grunz. „Grunz“? Ja, es grunzt rechts von uns in Lee bei den Pappeln. Und ich dachte, wir hätten den besten Wind der Welt vom Wald weg aufs Feld. Die Sauen sind diesmal nicht aus dem Wald, sondern über die Straße an den Pappeln längs gekommen, um zu den Lupinen zu gelangen. So konnte die Schwarzkittel uns wittern, ohne das wir sie rät konnten. Ob es die drei Brüder waren, oder statt derer eine Bache mit Frischlingen, frage ich mich? Die Ernte läuft und manch Getreideschlag ist nach der Ernte nicht mehr als Einstand zu brauchen. Die Stoppeln sind einfach zu flach für Sauen. Wir warten noch ein bißchen, baumen dann ab und fahren nach Haus.

Fünftes Mal auf den schnarchenden Bock

Wieder Eisenkanzel. Wieder halb neun. Wieder Westwind. Wieder der schräge Bock. Hoffentlich kommt der schnarchende Rachenbremsenbock zeitig, daß ich ihn bei Licht klar ansprechen kann. Neun Uhr. Kein chrr ist zu hören. Halb zehn, es wird langsam dunkel. Der gerade aufgegangen Mond ist noch zu schwach, um dem Schützen zu dienen sein Wild zu erkennen. Da. Genau vor mir im Knick, keine 15 m fern unter der nächsten Eiche höre ich Chrr! Es prasselt. Schräg an mir vorbei nach links hinten springt schnell ein Reh. Die Ricke. Der Bock hinterher. Ich kann auf der Quecke gegen den Mond mit der letzten Abenddämmerung das Gehörn ganz deutlich ausmachen. Kein Zweifel hadert an meinem Willen. Jetzt kriegst du ihn! Allerdings stehen die beiden hinter der Kanzel von der Eich leicht verdeckt. Der Bock treibt die Ricke. Die Sanfte flüchtet vor ihm und fiept. Ja jetzt ist Blattzeit. Sonst hätte ich den schlauen Kerl nie wieder zu Gesicht bekommen. Plötzlich ändert der Bock sein Ansinnen, verläßt die Ricke und kommt auf gleichem Weg den er auf die Quecke sprang zurück. Von schräg links hinten nach schräg rechts vorn. Er bleibt nicht stehen. Ich will sauber schießen. Aufgelegt mit bestem Treffersitz. Aber der Bock läuft. Ich ziehe mit. Kurz vor mir an der Lupinenkante verhofft der Bock kurz. Krach! Der Bock dreht im Knall und springt Richtung Wald über die Quecke ab. Verdammt. Das gibt's doch nicht. Auf so kurze Entfernung vorbei. Ich habe die .30-06 mit dem weichen 9,7g Sierra GameKing TM spitz geladen. Die spricht schnell an. Der Bock hat Tempo drauf. Wilder Tatendrang überfällt mich. Ich stehe und setze freihändig von schräg hinten eine Schuß nach. Krach. Der Bock fällt im Knall und bleibt liege. Geschafft! Ich freue mich. Ich warte die üblich Zeit. Dann baume ich ab um zum Anschuß zu gehen. 20m , 40, m 60, m wo ist der Bock, 80 m, da liegt er. Rechts auf der Kammer der kalibergroße Einschuß, auf der anderen Seite der fünf Mark Stück groß Ausschuß. Nackt liegt die Deck offen. Das sehe ich zum ersten Mal. Die Kugel hat dem Tier auf am Ausschuß die Haare weggerissen, so daß nur die nackt Haut geblieben ist. Der zweite Einschuß ist nicht zu sehen. Ich habe beim zweiten Mal vorbeigeschossen. Daß der Bock zur gleich Zeit wie mein zweiter Schuß im Knall fiel, war Zufall.

Also wieder die gleich Wichse: Wenn du mit der .30-06 einem Reh einen sauberen Kammerschuß anträgst, läuft das Stück des 1a Treffers trotz noch hundert Meter. Ist wohl eben so. Muß ich mich mit abfinden, oder die Blätter zerschießen. Zerschossen Blätter sind nicht so witzig. Heute habe ich mir von so einem zerschossene Blatt eine Knochensplitter in den Gaumen gerammt. Eher nicht so angenehm.

Zu Haus stelle ich beim Zerwirken auf der Einschußseite üble großflächige Blutgerinnsel fest. Na, die Rippen kann ich vergessen. Die Ausschußseite sieht besser aus. Sogar der Rücken hat Blut gezogen. Aber es ist wie immer: das Blut sitzt nur zwischen dem Bindehäuten, nicht im Fleisch. Wenn man die Bindehäute kunstvoll abzieht, lassen sich die Gerinnsel wieder entfernen.

Jetzt bin ich auf den Rachen meines schnarchenden Bockes gespannt. Ernüchterung macht sich in mir breit als sich das Stück erwirke. Keine einzige Rachenbremsenlarve störte diesen prächtigen 4-5 jährigen Sechser. Nicht mal Hautdaßelfliegenlarven hatte er unter der Decke. Dabei sind die Larven hier häufig und die meisten Rehe haben so 20 Stück dieser Schmarotzer unter der Decke zu sitzen. Die Ricke wird wohl die rachenbremsenbefallene sein. Wie konnte mir dieser zweite Fehler geschehen? Fünf Ansitze lang habe ich das falsche Stück gejagt. Als ich die beiden das erst Mal vor mir hatte, habe ich mich vertan und dann immer nur noch meinen Irrtum gefestigt. Vielleicht wollte ich unbewußt auch nur einen prächtigen roten Bock ernten?

Den schrägen Bock wird jedenfalls der dicke Willy, der die Kanzel mit baute, holen, beschließt mein Jagdherr. Soll er. Waidmann Heil!

Beute habe ich genug. Aber recht zufrieden bin ich damit nicht. Also fragt der Jungjäger „Was und wie soll ich das nächste Mal besser machen?“

Lutz Möller