PD Dr. H. Ellenberg
Während meiner Arbeit über Rehe in Bayern - 1971 bis 1977 - haben wir auf 15 ha Waldgatter, durch Fangen von Rehen in der freien Wildbahn drum herum, Rehe eingesetzt, so daß eine Ausgangs-Wilddichte von 18 Rehen auf 15 ha, also mehr als 100 Rehe pro 100 ha, entstand.
Nach Ablauf von zweieinhalb Jahren war der Verbiß - trotz Fütterung aus vier Futterautomaten, ganzjährig ad libitum - für die zuständigen Förster untragbar geworden. Wir beantragten einen TotalAbschuß und setzten ihn bewußt im Winter und Vorfrühling um, weil es aus dieser Jahreszeit nur sehr wenig Datenmaterial über Rehwild gibt (Organgewichte, Panseninhalt/Verdauungsphysiologie, hormoneller Zustand usw). Bei drei Einsätzen von jeweils vier Tagen mit je vier erfahrene Schützen erlegten wir im Februar, März und April insgesamt 38 Stück Rehwild und konnten Anfang Mai im Gehege noch sieben bis acht Individuen unterscheiden, die die Aktion überlebt hatten (es gab zwei sehr ähnlich aussehende weibliche Kitze, möglicherweise eben nur eins).
Diese Tiere haben sich übrigens weiter vermehrt. Sie und ihre Nachkommen blieben aber noch jahrelang so scheu, daß es uns über normales Ansitzen noch mehrere Jahre nicht gelang, auch nur ein Stück für die Küche zu schießen.
Dies nur am Rande.
Wir hatten also ~ 45 Stück Rehwild im Gatter gehabt, d.h. rechnerisch 300 Rehe pro 100 ha. Die Qualität dieser Rehe war besser als in der umgebenden freien Wildbahn: 1,8 überlebende Kitze pro Geiß am Ende des Winters - mit Kitz-Gewichten um 15 kg lebend, das sind 11,5 bis 12 kg aufgebrochen, 7 erwachsene Böcke mit Gewichten „aufgebrochen mit Haupt“ von im Mittel ~ 18 kg, Geweihgewichte sehr unterschiedlich (wie auch in der freien Wildbahn), drei über 300 g ...
(Ich schreibe hier aus der Erinnerung - die exakten Daten müßte ich aus der Versenkung rauskramen, habe mich lange nicht mehr mit dieser Art Rehwild-Schwierigkeitenn befaßt, weil ich dachte, das Thema wäre längst abgeschlossen). - Übrigens: Auch im „Rehgatter Stammham“ hatten wir nach sechs Jahren ohne jagdliche Eingriffe - aber mit Fütterung aus anfangs 12, später bis zu 20 Futterautomaten - auf 130 Wald mit ~ 3 ha Wiesen eine Rehwilddichte von deutlich mehr als 100 Rehen pro 100 ha. Während der Fangaktionen im Winter zum Wiegen und Markieren der Tiere füllten wir außerdem sukzessive eine „Sammelkammer“ (2,5 m Höhe Bretterwände, 50 x 60 m „im Quadrat“, um eine zu Beginn achtjährige Fichtendickung) mit gefangen Rehen auf, damit wir nicht die selben, leicht fangbaren Tiere immer wieder fangen mußten, und damit die vorsichtigeren bzw., die sozial unterlegenen ebenfalls eine Chance bekamen, sich zu fangen. ...
Diese Fangaktionen gingen jeden Winter etwa vier bis sechs Wochen lang. Am Ende hatten wir bis zu mehr als 60 Rehe in dieser „Sammelkammer“. Verluste waren bei all diesen Aktionen minimal: Nach 7 verendeten Rehen bei der Fangaktion im ersten Winter wußten wir wie's geht und hatten bei insgesamt weit über 2.000 Fängen in sechs Jahren nur noch 3 (+1) weitere Abgänge
Fazit: Wenn man Rehe gut ernährt, kann man sie „gezielt am Wald vorbeifüttern“. Bei guter Ernährungsbasis sind Rehwilddichten keine Hexerei, man kann sie lediglich ohne großen Aufwand und individuelle Unterscheidung nicht erfassen, geschweige denn angegebene Wilddichtezahlen als Dritter (z. B. Untere Jagdbehörde oder Kreisjagdberater) überprüfen. Dies Fütterungs-System ist allerdings labil und sehr anfällig für die geringste Unregelmäßigkeit in der Versorgung mit Futter (dann setzt es gleich massiven Verbiß). - Wir haben damals diese Experimente aus wissenschaftlichem Interesse gemacht, um zu erfahren, was an der Vorstellung vom streßempfindlichen Reh „dran“ ist .
Was wir erreichten, ist für die Praxis in der freien Wildbahn sicher nicht vorbildlich. Aber wenn es einem Waldbesitzer gefällt und seine Nachbarn dagegen nichts einzuwenden haben, ist es ihm aus meiner Sicht unbenommen, Rehe intensiv zu füttern - jedenfalls im Herbst und Winter. Ein Trockenfutter, das automatenläufig sein muß, von einer Qualität, die diejenige von frischem Grün im Frühjahr und Sommer übertrifft, haben wir aber nicht gefunden. Sommerverbiß läßt sich also durch solche Fütterung nur in begrenztem Maße verhindern. Darum warne ich auch generell vor solcher intensiven Betreuung dieser Wildtiere. Wir sollten sie nicht noch abhängiger von uns machen als sie es durch unsere Biotopgestaltung ohnehin schon sind. ... Es gäbe sicher noch mancherlei zu sagen, aber die Mittagspause ist vorbei.
Beste Grüße! - Wenn sie wollen, verbreiten Sie diese Zeilen an Leute, die sich kundig machen wollen.
Hermann Ellenberg.
Eine ganze Menge von meinen damaligen Ergebnissen habe ich publiziert. Man wundert sich als Wissenschaftler manchmal, wie wenig von den Ergebnissen, die man so erarbeitet hat „hängen bleiben“. Damals, Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger Jahre, waren sie sehr bekannt, insbesondere in Forstkreisen (in jedem Forstamt in Baden-Württemberg müßte meine Arbeit stehen:
ELLENBERG. H., 1978: Zur Populationsökologie des Rehes (Capreolus capreolus L) in Mitteleuropa. SPIXIANA, Zeitschrift für Zoologie (München), Supplement 2, S. 1 - 211.), aber durch weitere Veröffentlichung von Teilaspekten auch in Ökologen- und Jägerkreisen. - Sei's drum. – Die Spixiana bekommt man sicher auch über Fernleihe.
Beispiel aus der Praxis: Auf einer Fläche von 90 ha wurden zum Schutz von Eichenkulturen in einem Jahr (16. Mai bis 15.Dezember) 38! Rehe geschossen. Wurde denn dort in den letzten 90 Jahren nicht mehr gejagt?
[Horst Reinecke] Dies läßt sich auf einer so dünnen Datenbasis nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich habe für die Zeit von 1994 bis 1996 ~ 23.000 Rehgewichte aus Streckenmeldungen niedersächsischer Forstämter analysiert, bezüglich der Abhängigkeit von Abschußhöhe und der Gewichtsentwicklung gibt es keine faßbaren Ergebnisse. Zu sehr ist auch die Gewichtsentwicklung von dem jährlich wechselndem Nahrungsangebot abhängig. Daher bezweifle ich, die Rehdichte ließe sich mit Fütterungen „bis auf Stalldichte“ erhöhen. Eine Winterfütterung läßt zwar die Bestände nicht auf „Stalldichte“ anwachsen, erhöht aber kurzfristig die Revierkapazität.
Die Arbeit „Auswertung der Schalenwildstrecken Niedersaechsischer Forstaemter aus den Jagdjahren 1994/95 und 1995/96“ 117 S. SW-Druck doppelseitig, Ringbindung, ist für DM 20,- + DM 5,- Versandpauschale beim Institut für Wildbiologie und Jagdkunde, Büsgenweg 3, 37077 Göttingen zu beziehen, oder unter seiner eMail-Adresse hreinec@gwdg.de zu bestellen.
Gerhard Kech: Beziehung zwischen Rehdichte, Verbiß und Entwicklung der Verjüngung in einem gegatterten Fichtenforst als Basis einer waldgerechten Rehwildbewirtschaftung, Publisher: Freiburg i. Br., 1993 findet sich in Staats und Universitätsbibliothek Göttingen
European Journal of Wildlife Research Publisher: Springer Berlin / Heidelberg Issue: Volume 32, Number 3 Pages: 171 - 183 Abhandlungen: Immissionen - Produktivität der Krautschicht — Populationsdynamik des Rehwilds: Ein Versuch zum Verständnis ökologischer Zusammenhänge H. Ellenberg / Institut für Weltforstwirtschaft und Ökologie der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, Hamburg Zusammenfassung Rehpopulationen scheinen seit Jahrzehnten die jeweils gegebenen Grenzen der Tragfähigkeit ihrer Lebensräume voll auszulasten. Dies läßt sich u. a. aus den langfristig unveränderten, gemessen an der physiologischen Potenz jedoch geringen Gewichten schließen. Eutrophierung der Landschaft, aktiv als Düngung, passiv durch stickstoffhaltige Immissionen und verringerte Nährstoff-Austräge durch Beweidung, haben diese Tragfähigkeit in den vergangenen Jahrzehnten verbessert. Immissions-Schäden, wie auch immer verursacht — N-haltige Immissionen sind in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, führen zu Auflichtungen im Kronendach und verminderter Konkurrenz für die Krautschicht im Wurzelraum. Die Pflanzenfresser der Krautschicht, auch Rehwild, folgen dieser zusätzliche Erweiterung der Lebensraumkapazität. Der Äsungsdruck auf die nach wie vor beliebten Pflanzenarten steigt damit noch weiter an. Bemühungen zur Umwandlung von Nadelwäldern in laubholzreiche Wälder werden damit zusätzlich erschwert. - Die Schalenwild-„Explosion“ ist jedoch nicht nur Ursache für Verbißbelastung, sondern auch Folge von Eutrophierung und Immissionsschäden.
http://www.uni-trier.de/~biogeo/pdf/SOP_Reh_01_03.pdf
http://www.ag.ch/shared/data/pdf/jagd_fischerei/auch_wildtiere_brauchen_sichere_wege_uag_22-37.pdf
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