Fr, 2015-10-30 02:00 — Allgemeine Zeitung
Hinrich Schneider-Waterberg, namibischer Geschichtsautor, Okosongomingo bezieht Stellung zu jüngsten Äußerungen zum Kolonialkrieg 1904- 1907 und dem politischen Sprachwandel in der Bezeichnung der Aufstände und ihrer Folgen.
An dem kürzlichen Neuabdruck in der AZ meines noch immer zeitgemäßen Beitrags von vor einem halben Jahrhundert unter der Rubrik „Vor fünfzig Jahren", überaschte mich, wie wenig sich in manchen Beziehungen im Lande nach all den vielen Veränderungen doch in Wirklichkeit verändert hat. Damals ging es um Orientierungslosigkeit bei Südwesterdeutschen in der Einstellung zur Tagespolitik; heute geht es bei Namibiadeutschen und Bundes-Deutschen um Orientierungslosigkeit in der Kolonialgeschichte und deren Rolle in der Tagespolitik. Allerdings weht heute ein noch verwirrteres Lüftchen als damals aus der Tagespolitik von drüben herüber, das die Windmühlenflügel treibt, gegen die man - vergeblich, wie einst Don Quixote - um die Wahrheiten über den Hererokrieg ankämpft. Bei einem kürzlichen Besuch In der Bundesrepublik fand ich Namibia und den Kolonialkriegkrieg immer wieder als Dauerbrenner vor, und die AZ hielt lokal das Thema mutig am Leben. Gleich morgens nach der Landung aus Europa am Mittwoch (7. 9. 2015) las ich in der AZ den Bericht von ersten Treffen des deutschen Bundestagspräsidenten mit hiesigen Vertretern.
Wissenschaftlicher Rahmen erwünscht
Sehr beachtenswert war, daß Oppositionsführer Venaani den Wunsch auf einen bedeutungsvollen Dialog in gelehrtem Rahmen äußerte. Dieser Anstoß verdient es, ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Wie ich selbst oft erfuhr, sind nämlich vielen Herero die aktuellen, durchweg aufoktroyierten Versionen der Geschichte des Hererokriegs fremd und nicht geheuer. Zuviel historischer Unsinn, meist aus der Propagandawunderkiste des Kalten Kriegers Horst Drechsler und seinem Nachfolgefähnlein der Genozidversessenen, hat fremde, nahezu fundamentalistische Züge angenommen. Das neueste Opfer dieser Entwicklung ist offenbar auch die Mehrheit des deutschen Bundestages. Dort ignoriert man unbequeme gesicherte Quellen und hiesige Überlieferung, sofern man als Redner zum Thema überhaupt mit namibischer Geschichte näher vertraut ist.
Belegbare Geschichte mit aufgeheizter Version nicht vereinbar.
Wenn es das ist, was Venaani meint, gehörte Aufarbeitung der Geschichte des Hererokriegs daher wirklich unabhängigen „Gelehrten" übertragen, die die Primärquellenlage einsehen, im Gegensatz zu manchen lautstarken Bundestagspolitikern, die, wenn überhaupt, offensichtlich kaum mehr als nur ein schlechtes Buch zum Thema gelesen haben. Verhandlungen zwischen Deutschen und Herero gehören aber vorerst noch auf eine andere Ebene, denn man sollte sich keinen Illusionen hingeben. Historisch belegbare Ereignisgeschichte und kollektive Erinnerungen des Hererokriegs sind mit inzwischen politisch korrekt aufgeheizten aktuellen Versionen, die eine politische Lösung erfordern, längst nicht mehr ohne weiteres vereinbar.
Es wird beispielsweise auf diplomatisch-politischer Ebene, also amtlich, aktuell akzeptiert, daß das Trotha'sche Vorgehen von 1904 „nach heutigen Maßstäben ein Völkermord" gewesen sei, und das sei daher „wahr". Eben das ist aber historisch-tatsächlich falsch.
Welche ist nun die größere Wahrheit? Keiner der Tatbestände für einen Völkermord war damals vorhanden. Man wartet vergeblich, mindestens seit der 2004 zögerlich gemachten populistischen Erklärung einer deutschen Ministerin, aufirgendeine fachhistorisch quellengesicherte Begründung. Unter deutschen Fachhistorikern ist wenigstens die Genozidvision „von Windhuk nach Auschwitz " beispielsweise noch immer und zu recht umstritten, und läßt auf objektive Einsichten hoffen. Verhandlungen über Reparationen können in diesem Spannungsfeld leicht scheitern. Offene Gespräche, basierend auf im konventionellen Gedächtnis Namibias traditionell freundschaftlichen Beziehungen während der gemeinsamen hundertjährigen Geschichte, sind eine bessere Grundlage für fruchtende Entwicklungen als politisch korrekte Faseleien unfundierter astronomischer Opferzahlen vonseiten entschuldigungsbeseelter Neueinsteiger in den Genozidbus.
Der Propagandaversion aufgesessen
Nahezu gespenstisch mutet es an, wie eine namibisch-deutsche Politik der ungewissen Gewißheiten betrieben wird, von der die Betreiber nicht wissen, ob sie in wesentlichen Punkten auf historisch falschen oder ungewissen Voraussetzungen basieren könnte oder basiert. Wichtig scheint nur, daß die Akteure darin ihren Vorteil oder ihre Vorurteile bestätigt sehen. Aus der Debatte des Bundestages zu diesem Thema geht hervor, daß offenbar alle Parteien ohne Ausnahme, der von der vormaligen DDR-Regierung angestrebten Drechslerschen Propagandaversion des Kolonialkriegs aufgesessen sind, der sich offensichtlich linke Politiker und Historiker im beruflichen Interesse verschrieben haben.
Keiner der Redner hat sich offenbar bemüht, auf Drechsler basierende Quellen zu hinterfragen, geschweige denn zu überprüfen, auch - mit Respekt - der Bundestagsvorsitzende nicht. Dabei hat Drechsler fast 60 Jahre nach dem Hererokrieg ohne Quellenangabe den „ersten deutschen organisierten Völkermord" sowie „furchtbare Verbrechen" und dergleichen mehr erst erfunden! Für alle seine Erfindungen ist und bleibt sein Buch zugleich Beweis und Quelle. Für die Nomenklatura- und Agitprop- Historiker um Drechsler ist das ein unerhörter später Erfolg und unerwartete Anerkennung ihrer stalinistischen Konstruktionen! Für die deutsche Historiker-Zunft eine kaum totzuschweigende Blamage. Für Politiker ist es eine kleine Zeitbombe. Nach Voltaire ist Geschichte die Lüge, auf die man sich einigte.
Zum Wahrheitswert bereits damals kursierender parteipolitischer und kriegspropagandistischer Gräuelmärchen über den Kolonialkrieg schrieb schon 1918 im ersten Weltkrieg in einem amtlichen Antwortschreiben der General von Trotha an das kaiserliche Kolonialamt: „Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Lachen !"
Gebetsmühle für Populisten
Inzwischen wird jedoch die unbegründete und sachlich falsche Auffassung vom Hererokrieg mit der „Proklamation" als Beweis für „den ersten deutschen Genozid" gebetsmühlenhaft von Aktivisten und Politikern als Grundlage für eine Entschuldigung angeführt. Für Deutschland ist der Straftatbestand des Genozids im Völkerstrafgesetzbuch jedoch unter §6 geregelt. Dieser setzt einen absichtlichen, also vorsätzlichen Vernichtungswillen, „an einer Gruppe" für einen Straftatbestand voraus. Ein solcher ist mit den kriegsmäßig militärischen damaligen Maßnahmen, also konventionellen Kampfmaßnahmen der Truppe, auch nach heutigen Maßstäben, nicht gegeben, die kriegsmäßig gegen „bewaffnete Aufständige", aber nicht gegen eine Gruppe gerichtet waren. Der von der am Abend nach der „Schlacht am Waterberg" nahezu völlig erschöpften Truppe weder vorhergesehene, noch aufzuhaltende Abzug unbesiegter, uneinholbarer Herero in alle Richtungen war keineswegs der Tatbestand einer völkermordenden Vertreibung oder gezielter deutscher Terrormaßnahmen. An einer fiktiven „gnadenlosen Verfolgung" und ebenso erdichteten monatelangen „Abriegelung zum Verdursten" der Herero in der Omaheke hält sich trotzdem noch immer der ganze Schwarm der wissentlichen und gläubig unwissentlichen Geschichtsklitterer fest.
Es hat in Wirklichkeit beides nicht gegeben: Schon der landeserfahrene Hauptmann Victor Francke hatte realistisch in seinem Tagebuch das Mißlingen des Sandfeld-„Verfolgungs-Feldzugs" vorausgesagt, das sich dann nach sieben Wochen auch erwartungsgemäß abzeichnen sollte. Nach der bereits militärisch erfolglosen Schlacht am Waterberg, war jedoch eine „Verfolgung" für von Trotha aus militärischer Sicht ausweglos geworden, um so wenigstens seinem Kriegsziele gemäß zu versuchen, einen „letzten Schlag gegen Samuel" zu erzielen. Die Verfolgung war dann aber erfolglos. Die Herero wurden nicht eingeholt. Die nun entstehende haarspalterische Frage, ob eine als Theaterdonner gedachte, nachträglich erlassene Proklamation einen vorher undenkbaren Vorsatz für einen Mordplan beweisen kann, ist eine geschichtsphilosophische und metaphysische Spekulation für „postmoderne " Lehrmeinungen.
Von Beweisführung befreit
Über Erfinder und Vertreiber der unbelegbaren Gräuelmärchen und erdichteten „Hunnenbriefe" des Hererokriegs schweigt sich allerdings die aktuelle ebenso wie die damalige Zeitgeschichtsschreibung aus naheliegenden Gründen meist aus. Heute betrachtet man daher offenbar „Gräueltaten im Hererokrieg in DSWA" als selbstverständliche, gegebene Realitäten, und den von diesen offenbar zwangsläufig abzuleitenden Genozid oder Völkermord als dogma ex cathedra und somit unfehlbar von Beweisführung befreit. Die ereignisgeschichtlich realen Hergänge sind im Gegensatz dazu meist bis ins Detail belegbar, und man staunt mit welcher Selbstverständlichkeit populistische Medien und opportunistische Tagespolitik jenseits von allem wissenschaftlichen Anstand sich über historische Tatsachen hinwegsetzen.
Unbewiesene Voraussetzungen erweisen sich aber in der Geschichte oft als hirnlos tendenziöse Unterstellungen, vor allem mit Bezug auf würdelose Zahlenspiele mit angeblichen Opferzahlen. Der sie jedoch hinterfragt, wird meist mit seinen Zweifeln allein gelassen. Das ist aber im Hererokrieg keineswegs das Gesetz der Meder und Perser, geschweige denn ein unlösbares Problem. Alle Schätzungen zu Größenordnungen der Hererobevölkerung vor und nach dem Krieg müssen, um ernst genommen zu werden, durch den Engpaß der Wasserversorgung wie durch ein Nadelöhr passen. Ihr sind enge Grenzen gesetzt. Sie unterliegt nämlich der unerbittlich begrenzten, bis heute meßbar verfügbaren Trinkwassermenge in dem vom gesamten Volk mit seinem Vieh während mehrerer Wochen nach einer schlechten Regenzeit besetzten Gebiet um den Waterberg.
Fast alle aktuellen Schätzungen erweisen sich danach als unhaltbar und die kürzlich im Bundestag erwähnten Zahlen als unsinnig.
In meinem Buch (2004/2007) bemühte ich mich, der ganzen Wahrheit, wie schon im Titel angedeutet, zusammenfassend tatsächlich und ereignisgeschichtlich zuverlässig nahe zu kommen: - Seit über zehn Jahren ist dagegen kein Gegenargument erbracht, und auch mir persönlich kein ausführlicheres Material bekannt geworden.
Politiker erfanden Geschichte neu
Historisch ernsthaft Interessierten, kann ich das anspruchslose, quellenmäßig fundierte Büchlein, das demnächst nach zehn Drucken/Auflagen mit einem Nachtrag ergänzt erscheinen soll, somit mit ruhigem Gewissen empfehlen. Es ist meines Wissens davor und danach nichts ähnlich einleuchtendes erschienen. Niemand braucht mehr faselnden Fundamentalisten, politisch korrekten Besserwissern oder „betroffenen" Gutmenschen wegen fehlender Sachkenntnisse hilflos gegenüber zu stehen. Auch Bundestagsabgeordneten könnten peinliche Klitterungen erspart bleiben, würden sie sich die Mühe machen, sich zu informieren.
Nach dem außenpolitischen Debakel (April 2015) der zweifellos moralisch ebenso hochstehenden, wie in diesen unsicheren Zeiten aber ungefragten, Bezeichnung der türkischen Verbrechen an den Armeniern als „Völkermord", durch den deutschen Bundespräsidenten als erstem Mann im Staat und andere, ließen sich im Hinblick auch auf Namibia durchaus noch einige populär und politisch akrobatische Verrenkungen zum beliebten Gruselmärchen vom ersten deutschen Genozid erwarten. Und sie blieben nicht aus. Eine Mythe wurde Realität. Politiker erfanden die Geschichte neu. Gutmenschen bestimmten die Realpolitik. Postmoderne erfanden die Wahrheit neu. Wie schrieb schon Heinrich Heine : „Denk ich an Deutschland in der Nacht..."
Thema noch nicht ausgereizt
Das Thema namibisch-deutsche Kolonialgeschichte ist eben noch längst nicht ausgereizt. Bundestagspräsident Lammert hat in der „Zeit " offenbar auch als zweiter Mann im Staat (Juli 2015) ausgerechnet die Umstände der Schlacht am Waterberg als Völkermord bezeichnet, was sie nun wirklich nicht waren, und somit den Begriff eines Völkermords, für den man „sich entschuldigen" könne (!), in deutschen Regierungskreisen und der Öffentlichkeit akzeptabel gemacht.
Ein Oberkirchenrat der Westfälischen Kirche hat sich dementsprechend kürzlich im Büßergewand gönnerhaft dahingehend geäußert, daß eine Entschuldigung für den namibischen Völkermord auch gleich bei den Nachfahren aller Stämme des alten DSWA angebracht sei. In etwa nach dem Motto: ein DSWA, ein Kolonialkrieg, ein Völkermord, ein Abwaschen für alle. Er fand, nicht ganz unerwartet, bei den betroffenen Herero dafür wenig Verständnis. Sich dann bei einem anschließenden Besuch in Südafrika in Marikana beim Beten für 34 von Polizei erschossene gewalttätige Minenarbeiter am Tatort pressewirksam ablichten zu lassen, geht wohl an die Grenzen der Auswüchse zumutbarer deutscher Schuldkultur.
Den historischen Fehlgriffen infolge noch immer nicht bewältigter deutscher Vergangenheit - oder ist es Nationalmasochismus ? - deutscher Spitzenfunktionäre scheinen kaum Grenzen gesetzt. - Und sie kommen teuer zu stehen ... „Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Lachen." Wie wenig hat sich doch im Lande geändert !
Hinrich (Heiner) Schneider-Waterberg
Der Waterberg in der Region Otjozondjupa prägt das individuelle und kollektive Gedächtnis.
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