DER SPIEGEL 50/2002 - 9. Dezember 2002 URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,227093,00.php
Tiere Nager auf Weltenbummel In Bayern ist der Biber so erfolgreich wieder angesiedelt worden, daß er vielen Bauern gehörig auf die Nerven geht. Nun werden die Nager ins Ausland abgeschoben.
Der Damm ist klein, aber wirkungsvoll. Äste, Steine und Gestrüpp hat der Biber über Nacht aufgetürmt. 50 Zentimeter hoch hat sich das Wasser vor dem kunstvollen Bollwerk aufgestaut - und Rupert Ritzer steht daneben und schimpft.
"Ich sehe gar nicht ein, daß ich den Dreck jedes Mal wieder wegmachen muß", sagt der Landwirt aus dem bayerischen Höhenwart. Mitten in einem der Entwässerungsgräben, die Ritzers Grünland durchziehen, hat der dreiste Nager Dammbau betrieben. Jetzt droht Überschwemmung auf den Wiesen.
"Da hinten wohnt einer, da auf der anderen Seite noch einer und im Altwasser da drüben am Fluss gleich zwei", grimmt der Bauer, während er den Zeigefinger wütend in alle Himmelsrichtungen streckt. "Hier im Umfeld gibt es vier Biber - das sind eindeutig zu viele."
Kein Zweifel: Rupert Ritzer ist ein Fall für den Biberberater. Der heißt Gerhard Schwab und lauscht den Klagen des Landwirts an diesem nasskalten Herbsttag mit bemerkenswerter Gemütsruhe. "Da muß man was machen", bestätigt ihn Schwab schließlich und empfiehlt, den Biber einzufangen.
Für das Tier muß das kein Unglück sein: Schon bald könnte der Nager durch Auwälder an der Theiß in Ungarn paddeln. Oder wie wär's mit der Drau in Kroatien? Oder gleich ins sonnige Spanien?
Bayern ist Biberland. 120 Tiere aus Russland, Polen, Frankreich und Skandinavien setzten Biologen des Bundes Naturschutz in Bayern (BN) zwischen 1966 und Ende der siebziger Jahre im Freistaat aus. Heute leben zwischen Bayreuth und München geschätzte 6000 Exemplare der robusten Nager in 1500 Revieren.
Für Naturschützer ist die erfolgreiche Wiedereinbürgerung der Breitschwänze ein Vorzeigeprojekt - für Bauern wie Ritzer der reine Horror. "Intensive Landwirtschaft und der Biber passen nicht gut zusammen", räumt Schwab ein. Die Lösung im Freistaat: Die Tiere werden systematisch ins Ausland abgeschoben.
Über 450 Biber aus Bayern hat Schwab zusammen mit Kollegen im Laufe der letzten sechs Jahre schon durch halb Europa kutschiert. In Kroatien und Ungarn tauchen heute bayerische Biber durch Flüsse und Seen. Rumänien und Belgien sind dank der Importnager wieder Biberländer. Selbst Spanien hat angefragt: Bald könnten sich einige der bajuwarischen Schwerenöter in Galicien die Sonne auf den Pelz brennen lassen.
"Bisher hatten wir immer genug Nachfrage aus anderen Ländern", freut sich Schwab. Langsam jedoch erlahme das Interesse an den nagenden Gästen. In diesem Jahr mußte Schwab erstmals fünf Biber abschießen: "Wenn die Schäden zu groß werden, muß der Biber weg."
Schon einmal hatten die Menschen es auf den Biber abgesehen - indes aus anderen Gründen: Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt das Fell der Tiere als modischer und äußerst warmer Winterpelz. Und das Bibergeil - ein in den Afterdrüsen zwecks Reviermarkierung produziertes Sekret - wurde als Allheilmittel unter anderem gegen Hysterie, Krämpfe und müden Sex verwendet. Eine klerikale Spitzfindigkeit machte Biber zudem zum beliebten Festtagsbraten: "Bezüglich seines Schwanzes ist er ganz Fisch", notierte 1754 der Jesuitenpater Charlevoix. Fortan durfte Biberkeule auch in der Fastenzeit gegessen werden.
Um 1900 waren vom einst in ganz Europa heimischen Nagetier nur noch rund 2000 Exemplare übrig. Nur in Südnorwegen, an der mittleren Elbe, in Südfrankreich und Russland konnte sich der Biber halten. Erst mit seiner Wiedereinbürgerung in Bayern begann, was der BN-Ehrenvorsitzende Hubert Weinzierl heute als überfällige "Wiedergutmachung" bezeichnet. Allein in Deutschland leben inzwischen wieder über 10 000 Biber.
Was als gut gemeinte Naturschutzaktion gedacht war, schafft heute böses Blut. Lauschige Auwälder und mäandernde Flüsse waren in Bayern als neue Lebensräume der wieder angesiedelten Tiere ausersehen. Doch "Castor fiber", so der wissenschaftliche Name des bis zu 40 Kilogramm schweren Europäischen Bibers, hielt sich nicht an die Vorgabe. Schwab: "Es hat alle überascht - aber der Biber kommt in der Kulturlandschaft hervorragend zurecht."
Statt von Mädesüß und Sauerampfer nascht der Biber nun vor allem vom Mais und von den Zuckerrüben der Bauern. Die Böschungen sorgsam angelegter Entwässerungsgräben unterhöhlt das Tier bei der Anlage seiner meterlangen Röhren. Um deren Eingang aus Sicherheitsgründen immer unter Wasser zu halten, flutet der gewiefte Dammbauspezialist durch gezieltes Fällen einzelner Bäume ganze Felder. "Der Biber gestaltet sich die Landschaft, wie er sie braucht", erläutert Schwab, "und das führt zu Schwierigkeitenn."
Damit der Konflikt zwischen Landwirten und Bibern nicht eskaliert, sind in Bayern seit 1998 Bibermanager wie Schwab im Einsatz. Fast täglich ist der Zoologe unterwegs, um Konflikte vor Ort zu schlichten. Gleichzeitig haben er und sein Kollege Markus Schmidbauer inzwischen 220 ehrenamtliche Biberberater ausgebildet, die direkt in den Gemeinden die erhitzten Gemüter beruhigen sollen.
In Pförring bei Ingolstadt ist gleich ein dreiköpfiges Biberteam im Einsatz. Immer wieder wandern dort Jungbiber aus den nahen Donau-Altwässern in den örtlichen Kelsbach ein, weil sie im Alter von etwa drei Jahren von ihren Familien verstoßen werden. "Die müssen sich neue Reviere suchen", sagt Otto Biebl, Hausmeister des Pförringer Altenheims und einer der Biberberater: "Häufig landen sie halt bei uns in der Gegend."
Wenn es Schwierigkeiten gibt, rückt das Pförringer Biberteam aus. Mal reicht schon eine Baummanschette aus Draht, um die Vegetarier vom Anknabbern wertvollen Nutzholzes abzuhalten. Um den Wasserspiegel zu senken, bauen die Biberberater Drainagen in die Dämme der Tiere oder reißen die Astkonstrukte gleich ganz aus dem Flussbett. Haben die Bauern wirtschaftliche Schäden, können sie Ausgleichszahlungen beantragen.
In manchen Fällen jedoch widersetzen sich die tierischen Landschaftsarchitekten allen Maßnahmen der Eingreiftrupps. Dann muß Schwab entscheiden, was "unzumutbare Härten" für die Anwohner sind und was nicht. "Wenn der Biber in der Kläranlage sitzt, Fischteiche untergräbt, Dämme anbohrt oder große Flächen unter Wasser setzt, gibt es keine lange Diskussion", sagt der Biologe.
Mit der Kastenfalle, in der die Tiere lebend gefangen werden, gehen die Biberberater dann auf die Jagd nach dem Nager. An die 90 Biber haben Biebl und seine Kollegen schon in der Nähe von Pförring gefangen - in vielen Fällen allerdings zähneknirschend, wie Schwab betont. Denn eigentlich findet der Biologe, daß die Konflikte am dauerhaftesten gelöst werden könnten, wenn nicht der Biber, sondern der Mensch ein bisschen weniger Platz beanspruchen würde.
"Schwierigkeiten gibt es nur da, wo die Landwirtschaft zu nah an die Flüsse herangeht", sagt Schwab. Schon ein 20 Meter breiter ungenutzter Uferstreifen würde in den meisten Fällen ausreichen, um Streit gar nicht erst aufkommen zu lassen - "vom Nutzen für den Hochwasserschutz ganz zu schweigen".
Ohnehin rät der Biologe, die Nagetiere nicht einzuengen, sondern sogar von ihnen zu profitieren. "Das, was früher mit teurem Geld renaturiert werden mußte, macht der Biber heute kostenlos", schwärmt Schwab. Tristes Grünland verwandle der umtriebige Landschaftsgärtner in nur wenigen Jahren in naturnahe Feuchtgebiete, die Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen böten. Schwab: "Anderswo wird mit dem Bagger extra ein Krötentümpel geschaffen - der Biber macht es umsonst."
Bei den bayerischen Bauern stößt Bibermanager Schwab mit diesen Ansichten auf wenig Gegenliebe. Auch in Pförring waren es in diesem Jahr wieder acht Biber, die dem Landbau weichen mußten. In einem alten Schweinestall verbrachten sie die letzten Wochen vor ihrer Zwangsausweisung. Kürzlich war es dann so weit: Zusammen mit zwölf Tieren aus anderen Teilen Bayerns traten sie ihre Reise nach Ungarn an.
Jeweils zusammen mit ihren Familienangehörigen in Blechkisten verpackt, zuckelten die bajuwarischen Weltenbummler auf Schwabs Autohänger über Österreich Richtung ungarische Grenze. Nach dreistündiger Pause an der Zollstation (Schwab: "Die Beamten wollten auch alle mal den Biber sehen") erreichte der Transport schließlich den Nationalpark Hortobágy östlich von Budapest. Unter den Augen ungarischer Reporter und Fernsehteams wagten die Tiere ihre ersten Schwimmübungen in der dort noch weitgehend naturbelassenen Theiß.
"Den Bibern wird es dort gut gehen", glaubt Schwab. Weiter südwestlich, in Kroatien, haben Biologen schon Ende der neunziger Jahre insgesamt 85 Tiere ausgesetzt. Im vergangenen Jahr war der Bestand bereits auf 150 bis 200 Exemplare angeschwollen.
"In diesen Ländern ist die Landwirtschaft gottlob längst nicht so intensiv", sagt Schwab. "Da fällt es gar nicht auf, wenn der Biber mal eine zwei Meter lange Röhre gräbt." Auch macht der Nagerfan eine "ganz andere Einstellung" in der Bevölkerung aus: "Natur ist für die Leute dort noch Natur - da gehören die Tiere halt einfach dazu."
PHILIP BETHGE
Lutz Möller
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